Leserbrief: Piraten und Lynchjustiz?

Bezug: Kommentar „Fließende Demokratie: Der Traum der Generation Facebook“ von Albert Franz in DER NEUE TAG, Ausgabe 31. März 2012: http://www.oberpfalznetz.de/zeitung/3194377-145-fliessende_demokratie_der_traum_der_generation_facebook,1,0.html

Autoren der Piratenantwort: Manuel Ziegler (@Krealyt), Andi Ströhle

Piraten und Lynchjustiz?

Die Piraten sind momentan teilweise selbst schuld daran, dass ihnen die Medien Unwissenheit, Naivität und Inhaltsleere vorwerfen. Das fragwürdige Zelebrieren von Meinungslosigkeit durch einzelne Mitglieder der Piratenpartei bei öffentlichen Auftritten provoziert natürlich dazu. Mit Ihrem Kommentar aber, Herr Franz, stellen Sie die Piraten pauschal als Haufen naiver, wahllos mit ihrer Maus herumklickender Internetnutzer hin. Was Sie dabei ausblenden ist, dass die Partei mit Liquid Feedback eine sehr weit entwickelte basisdemokratische Plattform betreibt. Von „Gefällt mir“-Demokratie kann bei über 100 Arbeitsgruppen zu Themen wie Rentenpolitik, Bildung und Urheberrecht keinesfalls die Rede sein. Als Ergebnisse findet man z.B. den umfassendsten Vorschlag zur Reform des Urheberrechtsgesetzes – ausgearbeitet übrigens auch in Zusammenarbeit mit aktiven Urhebern. Der Vorwurf, dass die Piraten gegen jegliche Form des Urheberrechts wären, ist spätestens seit dem Bundesparteitag Anfang Dezember 2011 in Offenbach haltlos.

Doch damit nicht genug: Ihr Versuch, eine Verbindung der Piratenpartei mit dem strafrechtlich relevanten Aufruf zur Lynchjustiz im Fall des Mordes in Emden herzustellen, ist meines Erachtens ein Akt niveauloser Polemik. Um dem Vorwurf parteipolitischer Beeinflussung zu entgehen, sollten Sie zumindest die Inbezugstellung von Lynchjustiz und Piratenpartei entkräften.

Ihr Vergleich der Piratenpartei mit den Grünen wäre übrigens durchaus korrekt, wenn Sie nur etwas mehr Acht auf den zeitlichen Aspekt gelegt hätten. Wie die Grünen einte die Piraten zu Beginn primär ein einziges Thema. Die Grünen hatten sich den Kampf gegen einen rücksichtslosen Umgang mit unserer Umwelt auf die Fahnen geschrieben, ihre Mitglieder kannten sich von Friedens- und Anti-Atomkraft-Demonstrationen. Viel mehr hatte diese neue Partei an Inhalten anfänglich nicht zu bieten. Der eindringliche Verweis auf die immense Bedeutung einer nachhaltigen Umweltpolitik war jedoch so durchschlagend und für viele Menschen derart wichtig, dass sich die Grünen etablieren konnten und im Laufe der Zeit zu einer „vollständigen“ Partei heranwuchsen. Genau diesen Prozess durchläuft aktuell die Piratenpartei. Das vereinende Thema der Piraten war die äußerst dürftige Netzpolitik der „etablierten“ Parteien, quasi das Piraten-Pendant zur Atomkraft. Was für die Grünen die Umweltpolitik an sich war und ist, ist für die Piraten die bedingungslose Forderung nach mehr Transparenz im politischen Betrieb und eine vernünftige Installation der Basisdemokratie, was das Internet in beiden Fällen ermöglicht. Die Menschen, die sich unter dem Banner der Piratenpartei zusammenfinden, sind in anderen Bereichen teilweise unterschiedlicher Meinung. Hier muss sich erst noch ein Parteikonsens bilden, und das braucht eben Zeit. Das zentrale Thema der Piratenpartei ist allerdings dermaßen wichtig und brennt vielen Menschen schon so lange unter den Nägeln, dass sich die Piratenpartei genauso etablieren wird wie die Grünen im Laufe der 80er. Und das ist gut so.


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